4. SZENE

(Ein Zimmer.  Der Direktor eines Kabaretts.  Beckmann, noch leicht angetrunken.)

Direktor: (sehr überzeugt) Sehen Sie, gerade in der Kunst brauchen wir wieder eine Jugend, die zu allen Problemen aktiv Stellung nimmt.  Eine mutige, nüchterne --

BECKMANN: (vor sich hin) Nüchtern, ja ganz nüchtern muß sie sein.

Direktor: -- revolutionäre Jugend, die die Wahrheit hochhält, Pläne hat, Ideen hat.  Das brauchen keine tiefgründigen Weisheiten zu sein.  Um Gottes willen nichts Vollendetes, Reifes und Abgeklärtes.  Das soll ein Schrei sein, ein Aufschrei ihrer Herzen.  Frage, Hoffnung, Hunger!

BECKMANN: (für sich) Hunger, ja, den haben wir.

Direktor: Aber jung muß diese Jugend sein, leidenschaftlich und mutig.  Gerade in der Kunst!  Sehen Sie mich an:  Ich stand schon als Siebzehnjähriger auf den Brettern des Kabaretts und habe dem Spießer die Zähne gezeigt und ihm die Zigarre verdorben.  Was uns fehlt, das sind die Avantgardisten, die das graue lebendige leidvolle Gesicht unserer Zeit präsentieren!

BECKMANN: (für sich) Ja, ja: Immer wieder präsentieren. Gesichter, Gewehre, Gespenster.  Irgendwas wird immer präsentiert.

Direktor: -- Übrigens bei Gesicht fällt mir ein:  Wozu laufen Sie eigentlich mit diesem nahezu grotesken Brillengestell herum?

BECKMANN: Ich bin glücklich, daß ich wenigstens diese habe.  Das ist meine Rettung.  Es gibt doch sonst keine Rettung -- keine Brillen, meine ich.

Direktor: Sehen Sie, ich habe mich eingedeckt mit Brillen.  Ja, Köpfchen!  Ich bin glücklicher Inhaber von drei erstklassigen rassigen Hornbrillen.  Echtes Horn, mein Lieber!  Eine gelbe zum Arbeiten.  Eine unauffällige zum Ausgehen.  Und eine abends für die Bühne, verstehen Sie, eine schwarze schwere Hornbrille.

BECKMANN: Aber für die Bühne wirkt diese himmelschreiend häßliche Brille wahrscheinlich viel besser.

Direktor: Wieso das?

BECKMANN: Ich meine: komischer.  Die Leute lachen sich doch kaputt, wenn die mich sehen mit der Brille.  Und dann noch die Frisur, und der Mantel.  Und das Gesicht, müssen Sie bedenken, mein Gesicht!  Das ist doch alles ungeheuer lustig, was?

Direktor: (dem etwas unheimlich wird) Lustig?  Lustig?  Den Leuten bleibt das Lachen in der Kehle stecken, mein Lieber.  Bei ihrem Anblick wird ihnen das naßkalte Grauen den Nacken hochkriechen.  Nein, so können wir Sie nicht loslassen.  Etwas genialer, überlegener, heiterer müssen wir den Leuten schon kommen.  Positiv, mein Lieber!  Denken Sie an Goethe!  Denken Sie an Mozart! Die Jungfrau von Orléans, Richard Wagner, Schmeling, Shirley Temple!

BECKMANN: Gegen solche Namen kann ich natürlich nicht gegen an.  Ich bin nur Beckmann.  Vorne B -- hinten eckmann.

Direktor: Beckmann?  Beckmann?  Ist mir im Moment gar nicht geläufig beim Kabarett.  Was haben Sie denn so bis jetzt gemacht?

BECKMANN: Nichts, Krieg:  Gehungert.  Gefroren.  Geschossen:  Krieg.   Sonst nichts.

Direktor: Sonst nichts?  Na, und was ist das?  Reifen Sie auf dem Schlachtfeld des Lebens, mein Freund.  Arbeiten Sie.  Machen Sie sich einen Namen, dann bringen wir Sie in großer Aufmachung raus.  Lernen Sie die Welt kennen, dann kommen Sie wieder.  Werden Sie jemand!

BECKMANN: (der bisher ruhig und eintönig war, jetzt allmählich erregter) Und wo soll ich anfangen?  Wo denn?  Einmal muß man doch irgendwo eine Chance bekommen.  Wo sollen wir denn anfangen?  Wo denn?  Wir wollen doch endlich einmal anfangen!  Menschenskind!

Direktor: (resigniert) Wie Sie wollen!  Also:  dann fangen Sie an.  Bitte.  Stellen Sie sich dahin.  Beginnen Sie.  Fangen Sie also in Gottes Namen an.  Bitte.  Da.  Also.

(Leise Xylophonmusik.  Man erkennt die Melodie der "tapferen kleinen Soldatenfrau.")

BECKMANN: (singt, mehr gesprochen, leise, apathisch und monoton)

Tapfere kleine Soldatenfrau --
ich kenn das Lied noch ganz genau,
das süße schöne Lied.
Aber in Wirklichkeit:  War alles Schiet!

Refrain:
Die Welt hat gelacht
und ich hab gebrüllt.
Und der Nebel der Nacht
hat dann alles verhüllt.
Nur der Mond grinst noch
durch ein Loch
in der Gardine!

Als ich jetzt nach Hause kam,
da war mein Bett besetzt.
Daß ich mir nicht das Leben nahm,
das hat mich selbst entsetzt.

Refrain:
Die Welt hat gelacht
und ich hab gebrüllt.
Und der Nebel der Nacht
hat dann alles verhüllt.
Nur der Mond grinst noch
durch ein Loch
in der Gardine!

Da hab ich mir um Mitternacht
ein neues Mädchen angelacht.
Von Deutschland hat sie nichts gesagt.
Und Deutschland hat auch nicht nach uns gefragt.
Die Nacht war kurz, der Morgen kam,
Und da stand einer in der Tür.
Der hatte nur ein Bein und das war ihr Mann.
Und das war morgens um vier.

Refrain:
Die Welt hat gelacht
und ich hab gebrüllt.
Und der Nebel der Nacht
hat dann alles verhüllt.
Nur der Mond grinst noch
durch ein Loch
in der Gardine!

Nun lauf ich wieder rum
und in mir geht das Lied herum
das Lied von der sau-
das Lied von der sau-
das Lied von der sauberen Soldatenfrau.

(Das Xylophon verkleckert.)

Direktor: (feige) Lieber Freund, Kunst muß reifen.  Ihr Vortrag ist nocht ohne Eleganz und Erfahrung.  Das ist alles zu grau, zu nackt.  Sie machen mir ja das Publikum böse.  Nein, wir können die Leute nicht mit Schwarzbrot --

BECKMANN: (stur vor sich hin) Schwarzbrot.

Direktor: -- füttern, wenn sie Biskuit verlangen.  Gedulden Sie sich noch.  Arbeiten Sie an sich, feilen Sie, reifen Sie.  Dies ist schon ganz brav, wie gesagt, aber es ist noch keine Kunst.

BECKMANN: Kunst, Kunst!  Aber es ist doch die Wahrheit!

Direktor: Ja, Wahrheit!  Mit der Wahrheit hat die Kunst doch nichts zu tun!

BECKMANN: (bleibt bitter)  Ja, langsam verstehe ich schon, das sind so die Tatsachen -- (seine Stimme wird immer härter, bis sie beim Kreischen der Tür ganz laut wird).  Mit der Wahrheit ist das wie mit einer stadtbekannten Hure.  Jeder kennt sie, aber es ist peinlich, wenn man ihr auf der Straße begegnet.  Damit muß man es heimlich halten, nachts.  Am Tage ist sie grau, roh und häßlich, die Hure und die Wahrheit.  Und mancher verdaut sie ein ganzes Leben nicht.  (Beckmann geht grußlos ab.  Eine Tür kreischt und schlägt zu.)

DER ANDERE: Bleib hier, Beckmann!  Deine Straße ist doch hier.  Hier geht es nach Hause.  Du mußt nach Hause, Beckmann.  Dein Vater sitzt in der Stube und wartet.  Und deine Mutter steht schon an der Tür.  Sie hat deinen Schritt erkannt.

BECKMANN: Mein Gott!  Nach Hause!  Ja, ich will nach Hause.  Ich will zu meiner Mutter!  Ich will endlich zu meiner Mutter!!!  Zu meiner --


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