"Die Ente im Stechschritt"
by Susan Vahabzadeh
Source: Süddeutsche Zeitung,, 82 (10 April
1997): 15
Reprinted with permission of the Süddeutsche Zeitung
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Als Walt Disneys Figuren noch gegen Deutschland in den Krieg zogen
-- eine Ausstellung im Stadtmuseum
BILD: Ente gegen Gröfaz: Während
des zweiten Weltkrieges mischten sich die Disney-Tierchen
heftig mit bei der Propaganda-Arbeit. (Photos:
Stadtmuseum)
Mickey Maus hatte früher
Alkoholprobleme. Gelegentlich griff Herr Maus in
seinen wilden Jahren auch zur Zigarre -- leider mit einem
eher unerfreulichen Ergebnis: Micky wurde
kotzübel. So zumindest war Walt Disneys
Schöpfung 1931 auf Postkarten der Firma Hagelberg zu
sehen, und zwar "mit freundlicher Genehmigung von Walter E.
Disney." "Klein Micky Maus ist sehr vergnügt und
trinkt, bis sie am Boden liegt," steht hinter dem Bildnis
des besoffenen Nagers. Heute absolut
unvorstellbar. Micky mutierte erst später zur
Saubermaus und Entenhausen war nicht immer so idyllisch wie
heute. In The Barnyard Battle zogen
französische Mäuse siegreich gegen deutsche Katzen
ins Feld. Als der Film 1930 der deutschen
Filmbewertungsstelle vorgelegt wurde, fanden die Prüfer
die Kampfmäuse gar nicht komisch. Micky im
Schützengraben, so der deutsche Titel, wurde
verboten.
"Als Mickey Maus nach Deutschland
kam," heißt eine Ausstellung über die frühen
Jahre Entenhausens, die zur Zeit im Stadtmuseum zu sehen
ist. Gezeigt werden alte Micky-Maus-Hefte,
Originalzeichnungen, Prozellanfiguren wie jene der
Manufaktur Rosenthal, alte Filmplakate und ein Porträt
von Schauspielerin Olga Tschechowa Arm in Arm mit dem
Mäuse-Star. Der größte Teil der
Exponate mutet deswegen so seltsam an, weil er älter
ist, als man sich gemeinhin vorstellt. Vor ziemlich genau 70
Jahren wurde der Disney-Film Oswald und die
Straßenbahn erstmals in Deutschland gezeigt wurde,
1930 gab Micky in Steamboat Willie sein deutsches
Leinwand-Debüt.
Manchmal begibt sich die Maus auch
auf die Suche nach sich selbst: Photographien,
dokumentieren, daß Micky beispielsweise in Fritz Langs
M zu sehen war. Jene Photos, die
Micky-Maus-Spielzeug in den Überresten des
Konzentrationslagers Dachau zeigen, lassen einem eher das
Blut in den Adern gefrieren. Überhaupt ist die
Ausstellung der Berliner Galerie Laqua in Zusammenarbeit mit
der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik in
weiten Teilen gar nicht komisch: Der interessantere
Teil ist dem politischen Engagement von Walt Disney
gewidmet. Material zu vier Propaganda-Filmen von
Disney ist in der Ausstellung zu sehen -- die Filme selbst
sind es leider nicht, denn ihre Vorführung mochte der
Unterhaltungsriese nicht genehmigen.
Disneys Engagement an der
Heimatfront war nicht allein durch Patriotismus zu
erklären. Micky wurde im Dritten Reich zwar
geduldet -- aber um neue Filme einzukaufen, fehlten bald die
Mittel. Disney hatte in Fantasia viel Geld
investiert, doch Mickys märchenhaftes Abenteuer konnte
seine Kosten nicht einspielen -- der Krieg in Europa hatte
den Markt zusammenbrechen lassen, das Geschäftsjahr
1940/41 wurde für Disney zur Katastrophe.
In Education for Death
(1943) wird der "Little Hans" zu bedingungslosem Gehorsam
erzogen; ein Bild aus der Schlußszene -- ein
Gräberfeld, an den Kreuzen hängen Soldatenhelme --
ist in der Ausstellung zu sehen. "Pazifistisch ist das
nicht," erklärt Ausstellungskurator Manfred
Wegner. "Die Legitimität des Krieges wird in den
Filmen nie in Frage gestellt, es geht darum, daß man
zurückschlagen muß." Klingt
schlüssig: In Victory through Air Power,
übrigens auf eigene Kosten produziert, erläutert
Disney, daß der Luftkrieg das wirksamste Mittel sei,
die Deutschen zu besiegen. In The Führer's Face,
1943 mit einem Oscar ausgezeichnet, schlüpft Donald in
die Rolle eines deutschen Arbeiters. Er schuftet in
einer Munitionsfabrik. Die gestreßte Ente
begegnet einer Militärkapelle und sieht überal nur
noch Hakenkreuze, auf der Tapete, in den Bäumen.
Am Ende wacht Donald auf -- es war nur ein Alptraum, er
befindet sich in Amerika. The Führer's
Face wollte Wegner in der Ausstellung zeigen -- statt
dessen gibt es Die drei kleinen Schweinchen und
Steamboat Willie. Die tricksenden Ausflüge
in die Politik passen heute nicht mehr zum Disney-Image,
finden die Konzern-Chefs. The Führer's
Face können sich Comic-Freaks gelegentlich "unter
der Hand" auf eigenständige Veranstaltungen ansehen, so
Wegner. Warum der Film über die Ente im
Stechschritt von Disney nicht freigegeben wird, bleibt
für Leute, die ihn gesehen haben, eher ein Mysterium --
unter Cineasten gilt Donalds Alptraum als kleines
Meisterwerk. Micky wurde übrigens aus der
Propaganda weitgehend herausgehalten, erklärt
Wegner. "Das paßte nicht zu seinem
Charakter."
Im Lauf der Jahre schuf der
Disney-Konzern sich selbst alle Ecken und Kanten ab.
Im Stadtmuseum ist ein Comicstrip zu sehen, der sich
über Pin-ups mokiert -- damals schon fanden die
Saubermänner im Zeichen der Maus die spärlich
bekleideten Damen in den Soldaten-Spinden eher
unanständig. Dabei hat sich Disney anfangs selbst
die eine oder andere Rüge eingefangen: Die
überdimensionierten Euter seiner Kühe
beispielsweise in Steamboat Willie riefen die
Sittenwächter auf den Plan. So stehts im Buch des
Berliner Mäusefachmanns Carsten Laqua zu lesen, Wie
Micky unter die Nazis fiel -- Walt Disney und
Deutschland. Disney fügte sich: Die
Kühe bekamen Kleider, und Minnie Maus ist sowieso flach
wie ein Bügelbrett.
Walt Disney hatte nämlich vor
allem einen Sinn fürs Geschäft. Nich umsonst
ist das Imperium des Mäuse-Herren heute einer der
erfolgreichsten Unterhaltungskonzerne der Welt.
Chaplin soll Disney mit den Worten, "Komm rüber, sieh
dir die United-Artists-Geschäfte an und lerne, wie man
Geld macht" angeworben haben. So zumindest
erzählte Disney später die Geschichte, als er mit
Schneewittchen bereits den bis dahin erfolgreichsten
Fillm aller Zeiten abgeliefert hatte. Die United
Artists gibt es als eigenständigen Konzern längst
nicht mehr -- sie gehören zu Metro-Goldywn-Mayer.
(Die Ausstellung im
Puppentheatermuseum des Stadtmuseums ist noch bis 17. August
zu sehen, danach wird sie in Hannover gezeigt. Das
Buch von Carsten Laqua ist nur noch in den Ausstellungen
erhältlich.)
BILDER: Gschämig: Mickey Mouse als
niedliches Mäderl aus Selö.
Rühr mich nicht an:
die Maus aus dem Haus Rosenthal.
-Susan Vahabzadeh