Markus Stachon

Dissertation Fellowship

2012-13 Report


Positions

Veröffentlichungen

  1. Mitarbeit an: Kordes, M. / Lindken, T. u. a.: Quellen zur Geschichte des Stiftes Flaesheim im 13. Jahrhundert. Vestische Zeitschrift 103 (2010/11), 25-76 [eigener Beitrag: S. 53-55].
  2. Mitarbeit an: Kordes, M. / Lindken, T. u. a.: Menschenhandel in Birbuthsneppe und andere Alltagssorgen. Mittelalterliche Urkunden aus dem Kloster Flaesheim an der Lippe. Begleitheft zur Ausstellung in den Kunstsammlungen der Ruhr–Universität Bochum vom 9. Juli 2011 bis zum 12. Februar 2012. Bochum 2012 [eigener Beitrag: S. 58-60].
  3. Von einer Mücke, die kein Caesar sein will: Das Culex–Monument, Grabgärten und das Mausoleum Augusti, in: Klodt, C. (Hg.): [Der Garten als Motiv in der antiken Literatur], erscheint voraussichtlich 2013/2014 (?).
  4. Mirifice Vergilius? Fiktive Vergilbiographie im Catalepton, in: Kofler, W. / Novokhatko, A. (Hgg.): Verleugnete Rezeption: Fälschungen antiker Texte. Freiburg im Breisgau, erscheint voraussichtlich 2013.
  5. Nikolaus von Kues: De pace fidei, in: Glei, R. F. / Hasselhoff, G. / Jaspert, N. (Hgg.): Quellenrepertorium zum interreligiösen Dialog (QUID), Berlin, erscheint voraussichtlich 2014 (?).
  6. Rezension zu: Wilkens, Karsten (ed.), Johannes Gaza: Bacchi Piratae. Eine humanistische Warnung vor dem Alkohol (1531). Einleitung, Edition, Kommentar und Versuch einer Einordnung. Innsbruck 2012. Erscheint voraussichtlich in: Medievalia et Humanistica 39 (2013).

Dissertationsprojekt

Tractavi monumentum aere perennius. Untersuchungen zu vergilischen und ovidischen Pseudepigraphen. Im Endstadium. Erscheint bei erfolgreicher Promotion voraussichtlich in der Reihe Bochumer Altertumswissenschaftliches Colloquium beim Wissenschaftlichen Verlag Trier 2014 (?).

Vorträge

  1. Remodellierung des Dichters: Das pseudovergilische Catalepton als Werk des ersten Jahrhunderts n. Chr., am 23.09.2011 an der Albert–Ludwigs–Universität Freiburg bei: W. Kofler / A. Novokhatko: “Tagung zur Rezeption der Antike: Pontes 7. Verleugnete Rezeption: Fälschungen antiker Texte”.
  2. Tractavi monumentum aere perennius. Zur Wirkungskraft von Pseudepigraphen dargestellt am Beispiel der pseudovidischen Nux, am 13.12.2011 an der Ruhr–Universität Bochum bei M. Baumbach / R. Glei / C. Klodt: Forschungskolloquium des Seminars für Klassische Philologie.
  3. Mirifice Vergilius? Fiktive Vergilbiographie im Catalepton, am 09.01.2012 an der Ruhr–Universität Bochum bei: R. Glei u. a.: Ianualia MMXII (überarbeitete Fassung von 1.).

MR–Arbeiten, Kurzbericht

Im Rahmen des Forschungsprojekts Memoria Romana entstanden weite Teile des Dissertationsprojekts “Tractavi monumentum aere perennius. Untersuchungen zu vergilischen und ovidischen Pseudepigraphen” [MR 1] sowie der Aufsatz “Mirifice Vergilius? Fiktive Vergilbiographie im Catalepton”[MR 2], der eine schriftliche Fassung der Vorträge 1 und 3 darstellt und auf dem Workshop am 18.10.2011 in Rom mit anderen Stipendiaten diskutiert worden ist; im Forschungskolloquium des Seminars für Klassische Philologie der Ruhr–Universität Bochum wurden ferner ein Kapitel des Dissertationsprojekts sowie methodologische Grundlagen desselben diskutiert (vgl. Vortrag 2).

Im Dissertationsprojekt [MR 1] wird zu Beginn in einer methodologischen Einleitung der Begriff der (primären) Pseudepigraphie, und damit der Forschungsgegenstand, genau definiert wird als eine Art literarischer Rezeption eines Autors, im Rahmen derer der tatsächliche Verfasser sein Werk mit dem Namen eines Klassikers überschreibt, in dessen Rolle er bei Abfassung und Vortrag des Stückes auch schlüpft. Zu beachten ist hierbei allerdings, dass dieses Rollenspiel nur mittels des Gedächtnisbildes, das der Verfasser in seiner Zeit von dem Klassiker, dem er sein Stück unterschiebt, geschehen kann. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, vor der Besprechung der einzelnen Stücke, dieses Gedächtnisbild nachzuzeichnen: Hierfür werden (vermeintlich) biographische Angaben aus dem Werk des jeweiligen Dichters sowie aus seiner Rezeptionsgeschichte bis zum Beginn des zweiten Jahrhunderts n. Chr. nachgezeichnet; so entsteht eine Darstellung des kommunikativen Gedächtnisses Vergils bzw. Ovids — von historischen Fakten ist die Dichtermemoria bisweilen weit entfernt. Als Schlusspunkt der Darstellungen ist das Erscheinen von Suetons De poetis, den für die künftigen Generationen grundlegenden römischen Dichterbiographien, die fortan als wesentlich weniger flexibles kulturelles Gedächtnis an sie tradiert worden sind, gewählt.

Literaturtheoretische Ansätze sowie Konzepte aus der Memetik (die in meinen Augen zu Unrecht von der kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung weitestgehend ignoriert wird) ergänzen hierbei die zugrundegelegten Gedächtniskonzepte von J. Vansina sowie A. und J. Assmann.

Daraufhin werden vergilische und ovidische Pseudepigraphen des ersten Jahrhunderts n. Chr. unter Berücksichtigung ihrer tatsächlichen Entstehungszeit analysiert: Das sind Culex, Catalepton, Dirae (Ps.–Vergil) sowie Consolatio ad Liviam de morte Drusi, Nux, Halieutica, Somnium(am. 3,5) und Epistula Sapphus (epist. 15) (Ps.&ndash,Ovid). Dabei wird das zur Entstehungszeit gültige Gedächtnisbild des jeweiligen Klassikers besonders berücksichtigt: Welche Aspekte (Meme) des kommunikativen Gedächtnisses verarbeiten die Dichter, welche lassen sie unberücksichtigt; wie verkörpern sie den Dichter, dem sie ihr Werk zuschreiben wollen; wie arbeiten sie selbst an seinem Gedächtnisbild weiter? Auf der anderen Seite wird die Identifikation des tatsächlichen mit dem vermeintlichen Dichter nicht zum alleinigen Untersuchungsgegenstand, sondern — hierin besteht die Neuheit meiner Methode gegenüber den bisher angewandten, die sich vornehmlich um Möglichkeiten der Identifikation der beiden und damit letztendlich um Echtheitsfragen drehten — es werden auch zeitpolitische und literarhistorische Umstände der (begründet) angenommenen tatsächlichen Entstehungszeit der Pseudepigraphen miteinbezogen.

So stellt sich heraus, dass hinter der Maske Vergils im Culex die rein epigonale Poetasterschar tiberischer Zeit karikiert wird, im Catalepton der zunehmenden Verherrlichung Vergils entgegengewirkt und ein menschlich–allzumenschliches Vergilbild gezeichnet wird, und in den Dirae schließlich die im ersten Jahrhundert immer wieder auftretende Frage beantwortet wird, ob Vergil wohl auch ohne Maecenas und der mit ihm verbundenen finanziellen Unabhängigkeit ein berühmter Dichter geworden wäre. Die pseudovidische Consolatio ad Liviam de morte Drusi entpuppt sich als Abrechnung mit Drusus' Bruder Tiberius, die ironisch in Form einer Trostschrift an Livia daherkommt; in der Nux wird die Willkürsherrschaft und die neue Schein–Blüte der römischen Literatur, die sich in der durch den Herrscher zwar vorgegebenen, aber durch seine eigene Teilnahme unmöglich gemachten Wettbewerbskultur manifestiert; das Somnium kommentiert die in der Schulpraxis übliche Interpretation von Dichtertexten auf Grundlage daraus herausgelesener vermeintlicher Fakten dahingehend, dass den Interpreten ein Zirkelschluss unterstellt wird, der am Beispiel eines schlechten Traumdeuters, der das gleiche Verfahren anwendet und sich dabei in Widersprüche verstrickt, veranschaulicht wird; mit der Epistula Sapphus, einem Ovid zugeschriebenen sapphischen Pseudepigraphon, wird schließlich der Pseudepigraphismus selbst zum Gegenstand dieser “Gattung” und Ovid, also Ps.–Ovid, zu ihrem Begründer erhoben.

In Anbetracht der Tatsache, dass zur gleichen Zeit auch horazische, tibullische und senecanische Pseudepigraphen entstanden sind, die (sofern erhalten) in der Forschung bereits in meinem Sinne behandelt worden sind und daher nicht Gegenstand meiner Arbeit wurden, und ein ähnliches Phänomen auch in der Prosa auftritt, wird im Fazit schließlich die These formuliert, es handele sich beim römischen Pseudepigraphismus um eine literarische “Modegattung” der julisch–claudischen sowie flavischen Kaiserzeit, deren Vertreter nicht selbst danach strebten, ihren Namen zu verewigen und sich somit, wie Horaz es formulierte, ein monumentum aere perennius zu erbauen, sondern denen es genügte, ephemer als Bearbeiter dieser Dichter–Monumente Spuren zu hinterlassen: Zu Lebzeiten mag ihnen diese Art, als (anonymer) Dichter zum Tagesgespräch zu werden, aber womöglich unter Gleichgesinnten durchaus bekannt zu sein, zu ähnlichem Ruhm verholfen haben, wie namentlich bekannten Dichtern; anders als diese konnten sie aber, was durchaus üblich war, für möglicherweise in ihren Schriften geäußerte Herrscherkritik nicht zur Rechenschaft gezogen werden, da die Kritik ja aufgrund der Falschzuschreibung als anachronistische Fehlinterpretation verharmlost werden konnte.

Im parallel entstandenen Aufsatz zum pseudovergilischen Catalepton [MR 2] wird der in der Dissertation geleisteten aspekt–orientierten Lektüre des Gedichtzyklus, der vergilische Jugendwerke zu beinhalten vorgibt, eine lineare Lektüre zur Seite gestellt. In dieser linearen Lektüre wird deutlich, dass der Dichter sich in der ersten Hälfte der Sammlung genau an das überlieferte und in Suetons Vergilbiographie greifbare Vergilbild hält, damit also seinem Rollenspiel Glaubwürdigkeit verleiht, in der zweiten Hälfte allerdings vermehrt starke Abweichungen davon sowie Anachronismen auftauchen, sodass der vom Leser aufgerufenen Gestalt Vergils neue Facetten hinzugefügt werden. Durch einen Widerspruch zwischen dem letzten vermeintlich vergilischen Gedicht der Sammlung, einem Gebet an Venus um Vollendung der Aeneis, und dem Nachwort des vermeintlichen Herausgebers, in dem es heißt, es handele sich um die ersten Gehversuche Vergils, worunter eben das letzte Gedicht aber nicht fallen kann, entlarvt der Autor des Catalepton seine Fiktion. Dem Anliegen, das beim Publikum abgespeicherte Gedächtnisbild Vergils als das eines “göttlichen Dichters” zu modifizieren, tut die Selbstentlarvung des Verfassers allerdings keinen Abbruch: Was der Leser einmal in sein im Zusammenhang mit Vergil aufgerufenes neurales Engramm aufgenommen hat, bleibt damit verbunden, selbst wenn die neuen vermeintlichen Fakten sich als falsch entpuppen. An Dementis ist die Fehlinformation meist interessanter als die Richtigstellung: Diesen Effekt nutzt der Verfasser des Catalepton aus, wenn er erst das bestehende Gedächtnisbild Vergils untermauert, dann modifiziert, und seine Modifikation schließlich subtil für unwahr erklärt. Schließlich wird nach erhaltenen Spuren des mit dem Catalepton entstandenen Vergilbildes gesucht, die möglicherweise in der zu Beginn des zweiten Jahrhunderts von Gellius neu aufgenommenen Debatte um kakémphata bei Vergil und in Ausonius' Cento nuptialis greifbar sind.

Insgesamt wird in meiner MR–Arbeit die primäre Pseudepigraphe, also die durch die Verfasser der Stücke selbst getätigte Falschzuschreibung eines Werks an einen anderen, als eine literarische Gattung vorgestellt, die nicht als kriminelle Verfälschung von Literaturgeschichte, sondern als kreative Auseinandersetzung mit dem Gedächtnisbild eines Klassikers angesehen werden sollte: Die Verfasser geben ihren eigenen Namen dem Vergessen anheim, sind den Zeitgenossen aber möglicherweise mit ihrer Modifikation des Gedächtnisses eines größeren Dichters präsent und bleiben es möglicherweise auch für die Nachwelt. Der aufmerksame Leser der Originalwerke eines Klassikers sowie der ihm zugeschriebenen Pseudepigraphen soll — das war wohl im Sinne der Verfasser — zwischen den beiden Ebenen Original und Ergänzung unterscheiden. So wird die Pseudepigraphie, indem sie gleichermaßen mit dem Werk des vermeintlichen Dichters wie mit seiner Rezeption bei der Nachwelt arbeitet, zu einer literaturkritischen Gattung: Gleichzeitig wird nämlich dabei auch offengelegt, dass nicht nur “Fälscher”, sondern auch Interpreten, Kritiker und Biographen Leben und Werk der Dichter modifizieren.


Updated: March 22, 2013. Questions? Comments? Contact bnatoli@utexas.edu